Telemann - vollständige Orchestersuiten May-June 2010, "Toccata-Alte Musik aktuell" magazine, Germany, Regensburg
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Georg Philipp Telemann (1681-1767) war ein AIIroundtalent, besonders, was pfiffige Ideen zum Geld- und Broterwerb betraf. Seit 1725 hatte er seinen eigenen Musikverlag, stach seine Musik selbst in die Kupferplatten und publizierte sich selbst, sozusagen. Der Verkauf lief über seine Wohnung oder seine "Music-Bude an der Börse". Darüber hinaus nutze er aber auch seine Kontakte zu Musikern, Buchhandlern und Kaufleuten in Europa. Bis 1740 hatte er so mehrere hundert Werke veröffentlichen können und sein besonderer Coup war hier die selbst verlegte "Musique de Table" aus dem Jahr 1733, welche sein internationales Renommee ungemein starkte, sondern auch einen satten Gewinn einbrachte.
Im Textbuch zur vorliegenden Telemann-Einspielung mit dem Moskauer Pratum Integrum Orchester, das Volume 2 der Gesamteinspielung aller Telemannschen Orchestersuiten, schreibt nun Peter Huth: "Auch die VI Ouvertures à 4 ou 6, die, kürzlich in der Moskauer Staatsbibliothek wieder aufgefunden, durch das Ensemble Pratum Integrum hier nach dem Originaldruck in einer Weltersteinspielung vorliegen, gehören dazu [zu Werken, die Telemann auf Katalogzetteln als künftige Veröffentlichung anbietet, Anm.]. Ihre Planung lasst sich bis zum Amsterdamer Katalog von 1733 zurückverfolgen, in dem sie an fünfter Stelle der Edenda als 6. Ouvertures avec la suite comique, à 2 Violons, Violle & B chiffr erwahnt werden . ".
Telemann veröffentlichte dieses Werk 1736 in einer katastrophalen Situation. Er hatte den Endpreis zu niedrig kalkuliert, seine Frau Maria Catharina Telemann, war ihm 1735 auf und davon und hatte ihm einen stattlichen Schuldenberg von über 5.000 Reichstalern hinterlassen. Sie war in ihre Geburtsstadt Frankfurt am Main zurückgekehrt, Telemann blieb in Hamburg. Warum Frau Telemann so handelte, ist nur in Andeutungen und Gerüchten nachzuspüren: Sie scheint viel auf Kleidung und Putz gehalten und die Grande Dame gespielt zu haben.
Nun, Telemanns Finanzen erholten sich, seine Ehe nicht.
Faszinierend für mich ist, dass auch heute noch Werke solcher Qualitat unerkannt in Bibliotheken schlummern. Was wird künftig hier noch entdeckt werden? Es könnte einem schwindelig werden. Im Moskauer Alte-Musik-Ensemble Pratum Integrum hat Telemann jedenfalls die idealen Musiker für eine fulminante Weltersteinspielung gefunden. Sie oszillieren ja munter und frech in allen Epochen herum, spielen Romantik und Barock gleichermaßen überzeugend (wie ich innerhalb dieser Rubrik noch beweisen werde) und scheinen überhaupt keine interpretatorische Grenze zu kennen.
Es gelingt eben alles, was sie anpacken, die 17 Musikerinnen und Musiker um Pavel Serbin, Ausnahmemusiker allesamt. Das stellen sie heute mit den Orchestersuiten F-Dur TWV 55:F1, A-Dur TWV 55:A1, Es-Dur TWV 55:Es1, a-moll TWV 55:a1, DDur TWV 55:D2 und g-moll TWV 55:g1 überzeugend unter Beweis.
Robert Strobl
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